Flonk
Flonk war kein gewöhnlicher Drache. Mitten im tiefsten Winter hatten ihn drei Drachenkinder gebaut. Sie hatten sich große Mühe gegeben und er war ein richtig hübscher Schneedrache geworden, mit Zacken vom Kopf bis zur Schwanzspitze und mit einem freundlichen Gesicht.
In der Nacht begann es erneut zu schneien. Irgendwann hatten sich die dicken Schneewolken ausgeschneit und zogen weiter, während die letzte Schneeflocke herabfiel. Sie wurde vom Licht des Vollmonds eingehüllt und die Eiskristalle schimmerten und strahlten. Diese schimmernde Schneeflocke fiel direkt auf Flonk. Als sie ihn berührte, wurde er lebendig. Er hob den Kopf und sah sich um. Dann setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Nach ein paar Schritten klappte das Laufen schon ganz gut und Flonk wanderte durch den Winter, Tage und Nächte, bis er schließlich in die Berge Des Ewigen Schnees kam. Dort gefiel es ihm so gut, dass er beschloss, zu bleiben. Er wusste nicht, wieviel Glück er gehabt hatte, als er in den Bergen Des Ewigen Schnees gelandet war. Denn überall sonst im Land hatte der Frühling begonnen und der Schnee war weggetaut. Davon ahnte Flonk nichts. Er kannte nur Eis und Schnee und Winter.
Eines Morgens hörte er ein seltsames Geräusch über seiner Schneehütte. Er steckte den Kopf hinaus uns sah zwei Füße und einen langen Besen über sich hinwegfliegen. Allerdings wackelte der Besen sehr. Es war, als würde ihn ein starker Wind hin- und herzerren, obwohl es windstill war. Flonk sah, wie der Besen gegen eine Eiswand krachte und hinunter in eine Eisspalte rutschte. Und mit dem Besen rutschte die Person hinunter, die darauf saß.
Flonk lief zu der Eisspalte und spähte hinein. Dort lag eine Frau mit einem spitzen Hut und einem Umhang, die sich immer noch an ihrem Besen festklammerte. Sie schien aber ohnmächtig geworden zu sein, denn sie antwortete nicht auf Flonks Rufe. Die Spalte war nicht tief, und so kletterte Flonk hinein, hob die Frau und ihren Besen auf und trug sie in seine Schneehütte.
Dort kam sie nach einer Weile zu sich. Verwirrt blickte sie sich um.
„Hallo“, sagte Flonk. „Du bist abgestürzt und ich habe dich in meine Hütte getragen. Ich bin übrigens Flonk.“
„Danke, lieber Flonk“, antwortete die Frau. „Ich bin Kaia. Ich bin eine Wetterhexe. Ich wollte meinen Besen mithilfe eines kleinen Sturms schneller machen, aber etwas ist wohl schief gegangen.“
„Wo wolltest du denn hinfliegen?“, fragte Flonk.
„Zum großen Fest der Hexen, mit dem wir den Frühling feiern“, erwiderte Kaia.
„Was ist der Frühling?“, fragte Flonk weiter.
Kaia erzählte ihm, dass es außer dem Winter noch drei andere Jahreszeiten gab. Staunend hörte Flonk ihr zu.
„Ich möchte unbedingt mal den Frühling sehen“, sagte er verträumt.
Kaia lachte. „Das wird kaum gehen“, erwiderte sie. „Denn dann schmilzt du. Im Frühling und vor allem im Sommer ist es warm.“
Flonk sah so enttäuscht aus, dass Kaia Mitleid mit ihm hatte.
„Ich könnte dich mit einem Zauber belegen, damit du nicht schmilzt in der Sonne. Aber der hält nur einen Tag. Dann musst du zurück in den Bergen Des Ewigen Schnees sein“, schlug sie ihm vor.
Flonk war begeistert. Und so begann Kaia, ihren Besen um ihn herum zu wedeln und einen Zauberspruch zu murmeln. Flonk merkte, wie sich eine große Kälte über ihn breitete, noch kälter, als er es in seinen Bergen Des ewigen Schnees gewohnt war.
„So, das sollte genügen“, sagte sie schließlich.
Flonk breite seine Drachenflügel aus und erhob sich in die Luft. Kaia flog auf ihrem Besen vor ihm her. Flonk staunte, als unter ihm der Schnee grünen Wiesen wich. Sie landeten, damit er sich besser umsehen konnte.
Er konnte sich kaum sattsehen und vor allem sattriechen an den Blumen und blühenden Obstbäumen. Er sah den Insekten zu, die in den Blüten saßen, und lauschte den Vögeln, die laut zwitscherten.
„Kaia, ich danke dir. Das ist der schönste Tag meines Lebens“, sagte er glücklich zu der Wetterhexe.
„Gern geschehen, mein Lieber. Aber ich glaube, du musst langsam zurück. Du fängst an zu tropfen.“
Sie hatte Recht. Es war Abend geworden und Flonk begann zu schmelzen. Eine Zacke auf seinem Kopf war schon weg.
Er verabschiedete sich von Kaia, die versprach, ihn wieder zu besuchen. Dann flog er zurück in die Berge Des Ewigen Schnees. Als er dort in eine polierte Eisplatte sah, die ihm als Spiegel diente, und die fehlende Zacke bemerkte, dachte er, dass er gerne eine Zacke für diese tollen Tag geopfert hatte.